Kurzzeitfasten und Demenz

von Nils

Das Gehirn

 

Unser Gehirn ist das wohl unglaublichste Wunderwerk, das die Evolution hervorgebracht hat. In jedem Moment vollbringt es erstaunliche Leistungen – wir können kommunizieren, unsere Umgebung verarbeiten, erleben Emotionen, planen unsere Handlungen und merken uns die absurdesten Dinge. Das alles haben wir der Komplexität unseres Gehirns zu verdanken.

 

Das Gehirn umfasst ein gigantisch großes Netzwerk aus über 100 Milliarden Nervenzellen – den Neuronen. Erstaunlicherweise haben wir all diese Neuronen bereits von Geburt an – wir sind nicht dazu in der Lage neue Neuronen auszubilden. Was hingegen einem ständigen Prozess der Veränderung unterliegt, sind die Kontakte zwischen den Neuronen – die Synapsen. So ist jedes Neuron dazu in der Lage, bis zu 10.000 Synapsen mit anderen Nervenzellen herzustellen, die in ihrer Gesamtheit ein gigantisches Netzwerk aus Nervenbahnen bilden. Nahezu 6 Millionen Kilometer beträgt die Länge der Nervenbahnen eines Erwachsenen, was sogar den Umfang der Sonne übersteigt.

 

Demenz und Alzheimer

 

Doch was ist, wenn dieses Netzwerk anfängt zu bröckeln und immer weiter in sich zusammenfällt? Derzeit leben unglaubliche 46,8 Millionen Menschen weltweit mit einer Demenzerkrankung – Tendenz deutlich steigend. Allein in Deutschland soll sich die Anzahl der Demenzerkrankungen bis 2050 – mit voraussichtlich etwa 3 Millionen Demenzerkrankten – mehr als verdoppeln. Die Anzahl wächst mit der älter werdenden Bevölkerung. Die traurige Wahrheit dabei ist, dass sich eine Demenzerkrankung wie Alzheimer nicht aufhalten lässt – sie ist unheilbar. Eventuell besteht noch eine Chance des Aufschiebens, wenn die Diagnose ,,Demenz“ getroffen wurde – ein Aufhalten ist hingegen unmöglich. Die stetige Degeneration des Gehirnes nimmt seinen Lauf. Was mit einfacher Vergesslichkeit beginnt, kann sich früher oder später dazu entwickeln, dass Betroffene eines Tages nicht mehr dazu in der Lage sind, ihre vertrautesten Angehörigen zu erkennen. Eine schockierende Vorstellung, aber leider zunehmend Realität.

 

Die erfreuliche Nachricht: Intermittierendes Fasten soll dazu dienen, Dein Gehirn möglichst lange in einem effektiven Zustand zu halten und ihm einen Schutz gegen unterschiedliche Formen der Demenz zu bieten.

 

Was bewirkt Kurzzeitfasten im Gehirn?

 

In der ersten Woche von IF – Change wurdest Du bereits an das Thema Autophagie herangeführt – das Reinigungs- und Wartungsprogramm Deiner Zellen. Beim Betrieb unserer komplexen Zellmaschinerie fallen ständig störende Abfallprodukte an – ob beschädigte Zellbausteine, alte Proteinreste oder anderer unerwünschter ,,Zellmüll“. Unser Körper ist allerdings dazu in der Lage, diese Abfallprodukte zu recyclen und zum Wiederaufbau neuer Zellkomponenten nutzbar zu machen. Bekommt der Körper hingegen zu selten die Chance ,,auszumisten“, häufen sich diese Schadstoffe an – und genau das ist ein Problem bei der Alzheimer-Krankheit.

 

Im Zuge des Alterungsprozesses sammelt sich in den Neuronen des Gehirns häufig ein bräunliches Material, bestehend aus Fett- und Proteinresten, an – das sogenannte Lipofuszin. Diese ,,Altersflecken im Gehirn“ liefern ein erstes Anzeichen dafür, dass die Hirnzellen mit dem Abbau von störenden Proteinresten nicht mehr hinterherkommen. In diesem Zustand lagern sich Proteine schneller ab, als die Zellen sie abbauen können. Die Proteinreste häufen sich an.

 

Bei Alzheimerpatienten kommt noch eine weitere Art des „Hirn-Plaques“ hinzu, der sich hartnäckig in den Fortsätzen der Neuronen hält. In der Folge schwellen die Fortsätze an und bilden auf ihrer Außenseite die klassischen Beta-Amyloid-Ablagerungen, die charakteristisch für die Alzheimer-Erkrankung sind. Bislang ist nicht umfassend geklärt, wie die einzelnen Gehirnzellen durch diesen ,,Hirn-Plaque“ geschädigt werden, neusten Studien zufolge könnten diese Ablagerungen aber die Folge einer unvollständigen Autophagie sein. Betroffene Neurone sind nicht mehr umfassend dazu in der Lage ungebetene Substanzen abzubauen, zu verdauen und zu recyclen. Eine gesteigerte Autophagie durch Intermittierendes Fasten und einen angemessenen Kohlenhydratkonsum könnte also Teil der Lösung sein.

 

Gibt es dafür wirklich Beweise?

 

Demenzerkrankungen wie Alzheimer treten bekanntermaßen mit zunehmendem Alter auf. Gleichzeitig weiß man, dass Kalorienrestriktionen und Intermittierendes Fasten – wie die Wissenschaft bereits vor vielen Jahrzehnten feststellte – die Lebensspanne von Mäusen um etwa 30 – 40 Prozent verlängert. Es lag also nahe, die Auswirkungen von Kurzzeitfasten auf die geistige Leistungsfähigkeit und den Schutz der Neuronen zu testen. Genau das prüfte ein Forscherteam rund um das amerikanische ,,National Insitute on Aging“.

 

Dabei wurden Mäuse einem Gedächtnistest unterzogen. Gedächtnistest bei Mäusen – wie funktioniert denn sowas? Die Mäuse wurden in einen großen, runden, mit Wasser gefüllten Eimer gesetzt. An einer Stelle des Eimers war – für die Mäuse nicht sichtbar – knapp unter der Wasseroberfläche eine Plattform installiert. Das Ziel der Mäuse sollte es sein, auf diese ,,rettende Insel“ zu schwimmen. Keine Sorge – falls die Mäuse es nicht in 60 Sekunden schafften die Plattform zu finden, wurden ihnen der Weg gezeigt und sie anschließend aus dem Wasser geholt. Jede Maus machte diesen Test 4 mal pro Tag über insgesamt 8 Tage.

 

Welche Beobachtungen machte das Team?

 

Gemessen wurde der Lernerfolg der Mäuse – zum einen von Mäusen, die sich zu jeder Tages- und Nachtzeit eigenständig am Futter bedienen durften und zum anderen von Mäusen, die intermittierend fasteten. Wie stark verbesserten sich die kleinen Nager in Laufe der Tage? Wie viel schneller wurden sie beim Auffinden der Plattform? Interessanterweise war zwischen den fastenden und den normal ernährten Mäusen in einem Alter von 10 Monaten – was einem Menschenalter von etwa 40 Jahren entspricht – kein bedeutender Unterschied festzustellen. Anscheinend spielte es keine Rolle, wie oft die Mäuse fraßen.

 

Derselbe Test wurde mit anderen, deutlich älteren Mäusen (im Alter von 17 Monaten – das entspricht einem Menschenalter von knapp 70 Jahren) wiederholt. Die Unterschiede waren nicht zu übersehen. Brauchten beide Gruppen am ersten Tag der acht Testtage noch in etwa gleich lang für ihre Flucht aus dem Wasserbad (in etwa 50 Sekunden), so verbesserten sich die ,,normal“ gefütterten Mäuse im Laufe der acht Tage auf etwa 30 Sekunden. Die fastenden Mäuse hingegen fanden die Plattform am Ende der Testphase bereits nach 10 Sekunden. Wahnsinn, was mit etwas Timing in der Nahrungsaufnahme zu bewirken ist oder? Es deutet jedenfalls vieles darauf hin, dass Kurzzeitfasten gegen Krankheiten wie Demenz, Alzheimer und Gedächtnisverlust helfen kann.

 

In einem anderen Experiment wurden Mäuse auf eine fett- und fruktose-basierte Diät gesetzt. Dabei traten die Gedächtnisprobleme der Nager noch früher auf. Schlechtes Essen macht offenbar nicht nur dick, sondern langfristig auch dumm.

 

Konzentrationsphasen während des Fastens

 

In unserer modernen Gesellschaft haben wir die Möglichkeit, zu jeder beliebigen Zeit zu essen. Viele können sich ein Leben ohne Frühstück oder eine Mahlzeit vor dem Training überhaupt nicht vorstellen. Mit leerem Magen – so nehmen es viele an – lässt sich schließlich nicht konzentriert arbeiten. Das das Problem nicht der leere Magen, sondern in vielen Fällen die Abhängigkeit unseres Körpers von ständiger Kohlenhydratzufuhr ist, wird dabei gerne ignoriert. Die längste Zeit des menschlichen Daseins haben wir intermittierend gefastet, waren dazu in der Lage lange Zeit ohne Nahrung auszukommen und konnten gleichzeitig in den Fastenphasen höchste Gedächtnisleistungen abrufen. Aber warum ist es in der Tat so, dass wir uns – wenn wir uns erst einmal an das Intervallfasten gewöhnt haben – während der Fastenphasen besser konzentrieren können?

 

Antworten auf diese Frage liefert der amerikanische Wissenschaftler Dr. Mark P. Mattson. Auch er experimentierte mit fastenden Mäusen und machte eine sehr interessante Entdeckung – Mäuse, die nach dem Prinzip des Intervallfastens gefüttert wurden, zeigten eine gesteigerte Produktion des Proteins BDNF. BDNF ist ein Wachstumsfaktor unseres Nervensystems – es schützt unsere Neuronen und Synapsen und fördert gleichzeitig das Wachstum neuer Synapsen zwischen den Neuronen. Dieser Wachstumsfaktor spielt sowohl bei unseren Lernprozessen als auch beim Langzeitgedächtnis eine tragende Rolle.

 

Logisches Handeln der Evolution

 

Aus evolutionärer Sichtweise ist der Anstieg dieses Wachstumsfaktors während einer Fastenphase sogar absolut sinnvoll. Wenn eine Sache unser Überleben in einer andauernden Hungerphase retten konnte, dann war es unser brillantes Gehirn. Wir brauchten geschärfte Sinne, wenn es nicht genügend Nahrung gab. Unser Gehirn wurde weiterhin dazu befähigt, sich an sämtliche Nahrungsquellen in großen Gebieten zu erinnern, mögliche Gefahrenquellen zu umgehen und wichtige Informationen an andere weiterzugeben. Es war vermutlich einer unserer größten Vorteile auf Hungerphasen mit gesteigertem Denkvermögen reagieren zu können.

 

Zwar basiert die aktuelle Forschung weitestgehend auf Studien an Mäusen und sicherlich bräuchte es Langzeitstudien am Menschen, um eine Sicherheit darüber zu erlangen, inwiefern Intervallfasten unser Gehirn beeinflusst – dennoch deutet vieles darauf hin, dass Kurzzeitfasten unsere Gedächtnisleistung und Konzentration fördert. Man könnte sagen: ,,Alzheimer kannst Du also getrost vergessen.“

Literaturverweise

  • V. Deretic, D. J. Klionsky: „Reinemachen in der Zelle“, Spektrum der Wissenschaft S.58, Dezember 2008
  • V. K.M. Halagappa et all: ,,Intermittent fasting and caloric restriction ameliorate age-related behavioral deficits in the triple-transgenic mouse model of Alzheimer’s disease”, Neurobiology of Disease, 26, no. 1, S. 212– 20, April 2007
  • M. P. Mattson: ,,Energy Intake and Exercise as Determinants of Brain Health and Vulnerability to Injury and Disease”, National Institute on Aging Intramural Research Program, December 2012